G  ä  s  t  e  b  u  c  h

Juli 2017

Heinrich  Detering

Requiem für eine Seekuh

 

im Jahr  1741  fand Steller die Stellersche Seekuh (Hydrodamalis gigas)

auf der Bering- und der Kupferinsel sie gehörte

zu den letzten ihrer neuentdeckten Art

ihr riesenhaftes Gerippe zeigte er in Wien

 

siebzigtausend Jahre lang hatte die Stellersche Seekuh

schweigsam geweidet in Algen und Tang

in Wärmeperioden in Kältephasen im Tauwasser der Eiszeit

im flachen Wasser vor der Halbinsel Kamtschatka

 

siebzigtausend Jahre lang das sanfteste Tier

acht Meter lang warmpelzig wehrlos

                                                                             als der erste Mensch

sie fand im flachen Wasser vor Kamkatschka dem Weide-

dem Jagdgrund

 

das sanfteste Tier die leichteste Beute

sie war schmackhaft und zart

wie Menschenfleisch

                                            nach siebenundzwanzig Jahren

war die letzte getötet und verzehrt

 

man kann sie betrachten im Naturkundemuseum in Wien

ohne Pelz ohne Fleisch und noch immer ganz still

H e i n r i c h   D e t e r i n g

 

Old  Glory

 

Wallstein Verlag

© 2012

 

ISBN : 978-3-8353-1167-1

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