G ä s t e b u c h
Dezember 2017
Friedrich Nietzsche
( 1844 - 1900 )
Vogel Albatross.
O Wunder! Fliegt er noch?
Er steigt empor und seine Flügel ruhn!
Was hebt und trägt ihn doch?
Was ist ihm Ziel und Zug und Zügel nun?
Er flog zu höchst — nun hebt
Der Himmel selbst den siegreich Fliegenden:
Nun ruht er still und schwebt,
Den Sieg vergessend und den Siegenden.
Gleich Stern und Ewigkeit
Lebt er in Höhn jetzt, die das Leben flieht,
Mitleidig selbst dem Neid —:
Und hoch flog, wer ihn auch nur schweben sieht!
O Vogel Albatross!
Zur Höhe treibt's mit ew'gem Triebe mich!
Ich dachte dein: da floss
Mir Thrän' um Thräne — ja, ich liebe dich!
der kleine kommentar
Friedrich Nietzsches Albatross ist in seiner erhabenen Klarheit
eines der schönsten deutschen Gedichte überhaupt .
Die ersten drei Strophen sind atemberaubend — insbesondere die Stelle , in welcher selbst
einem der übelsten menschlichen Triebe : dem Neid . . . Mitleid angeboten und gewährt wird . Dem folgend :
. . . und hoch flog , wer ihn auch nur schweben sieht ! . . .
w u n d e r v o l l !!
Unglücklicherweise ist er aber gleichermassen ein Beispiel dafür , wie schwer es auch unter Meistern fällt , das richtige Ende zu finden .
Hätte er ihn uns doch einfach nur entschweben sehen lassen . . .
Sebastian Erni
Gedicht zu Gast